Samira tastet mit einer Hand nach der Tuchpuppe, die seitlich neben ihrem Rumpf liegt. Als sie sie in die Finger bekommt, bewegt sie die Hand samt Inhalt zum Mund. Sie nimmt die zusammengeknüllte Puppe wieder heraus und führt sie zur anderen Hand. Ihre Augen verfolgen den Weg der Hände. Als sie sich treffen, beginnen beide das weiche Ding zu drücken und zu betasten. Die eine Hand lässt los. Die andere spielt damit weiter, bis sich die Faust mit einer ruckartigen Armbewegung zur Seite streckt und dabei das Püppchen verliert. Das Spiel beginnt von vorne.
Tut Samira das alles bewusst und absichtlich? Kann sie ihre Bewegungen so steuern und koordinieren, dass sie die Puppe gezielt mit der einen Hand aufnimmt, sie an die andere Hand übergibt und diese sie wieder ablegt, oder passiert das alles zufällig? Wer hat ihr beigebracht, wie sie dazu vorgehen muss? Wie hat sie das gelernt?
Das Beobachten und spielerische Erkunden der eigenen Hände gehen zeitlich dem Spielen mit Gegenständen voraus und bereiten das Kind auf das Hantieren mit ihnen vor.
Anfangs begegnen sich Augen und Hand zufällig. Mit freudvoller Erregung antwortet der Säugling auf ein „Wiedersehen“ und ist bald davon gefesselt, sodass er versucht, seine Hand länger im Blick zu behalten. Er vertieft sich mit liebevollem Interesse in die Beobachtung seiner Hände, die ihrerseits damit beginnen, ihre motorischen Möglichkeiten auszuprobieren.
Kopf und Augen verfolgen den Weg der Hände. So lernt das kleine Kind, seine Arme, Hände und Finger miteinander zu koordinieren, und dies unter der Kontrolle der Augen. Auge-Hand-Koordination ist der Terminus dafür, der später im Kindergarten und der Schule gezielt von den PädagogInnen weiter geschult wird.
Die Hand lernt, sich zur Faust zu schließen und sie wieder zu öffnen. Eine Fertigkeit, die sie zum
Greifen, Festhalten und Loslassen von Gegenständen benötigt. Ferner versuchen beide Hände einander immer wieder zu begegnen und sich zu berühren, wie es Voraussetzung ist, um etwas der anderen
Hand zu übergeben.
Es scheint, als mache der Säugling ein „Trockentraining“, als übe er Fertigkeiten, die er später mit verschiedenen Dingen ausführen wird, vorerst ohne sie. Mit seinen Blicken, ja mit seiner
ganzen Aufmerksamkeit verfolgt er sein Tun.
Die menschliche Natur hat lernpädagogische Grundsätze, wie zum Beispiel „vom Leichten zum Schwierigen“ als eine Art verborgenes Wissen gespeichert und wendet sie aus innerem Antrieb an, sofern das Kind nicht daran gehindert wird.
Es macht Sinn, ihm Zeit für seine spielerisches Forschen zu lassen und seine Aufmerksamkeit nicht von seinen eigenen Interessensgebieten abzulenken.
Daher schlägt Emmi Pikler, die sich als erste intensiv der wissenschaftlichen Beobachtung von Säuglingen widmete, vor dem Kind erst dann Spielzeug anzubieten, nachdem es begonnen hat, mit seinen Händen zu spielen und sich sichtbar für seine Umgebung zu interessieren. Um diesen Zeitpunkt stimmig zu wählen, ist es das Beste, dem Kind immer wieder zuzuschauen, was es gerade macht.
Einfach nur da sein und dem Kind zuzuschauen: Es gibt kaum etwas, was der gegenseitigen Beziehung und dem Selbstbewusstsein des Kindes förderlicher ist.
„Keine Kleinigkeit ist so unbedeutend, dass sie nicht unsere Aufmerksamkeit verdiente.“
Grundsatz von Emmi Pikler
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